Interview

Petisch, büklamisch, wc-entisch …?


Was haben Plastik-Trapezgriffe und WC-Enten mit Schrift oder überhaupt mit Kunst zu tun? Sehr viel! Vor allem dann, wenn die Materialen erst einmal durch die Hände des Schweizer Künstlers Kurt Baumann gegangen sind. Er nimmt das Wort «Kunststoff» sehr wörtlich und kreiert u.a. aus scheins alltäglichen Gebrauchsgegenständen aussergewöhnliche und ästhetisch schöne Objekte.

Michael Heisch, Redaktor des Mitteilungsblattes der Schweizerischen Kalligraphischen Gesellschaft, hat Kurt Baumann über seine Arbeit befragt.


Wie kommt man auf die Idee, aus WC-Enten, Plastik-Tragegriffen sowie überhaupt aus Alltags-(Verbrauchs-)Gegenständen ein Alphabet zu kreieren?

Angefangen hat diese Arbeit vor vielen Jahren, als ich mit meinem Sohn am Strand in Elba Angeschwemmtes sammelte und zu «Bildern» zusammenlegte. Unter den gesammelten Gegenständen waren auch Plastiksacktragegriffe, losgelöst vom Sack, in allen Farben und Formen. Zuhause  im Atelier habe ich diese Griffe weiter bearbeitet, habe zusätzliche Griffe gesammelt und beim Experimentieren neue Formen entdeckt und entwickelt. Dieses Material, dieser Gegenstand hatte eine ganz spezielle eigene Sprache, entpuppte sich als sehr vielfältig, war für mich geradezu ein Baustein geworden. Beim Betrachten der vielen kleinen Einzelobjekte mit ihren einmaligen Formen erinnerte ich mich an die Zeit meiner ausgedehnten Reisen in Südostasien und Mittelamerika, als ich Sprachzeichen begegnete wie sie in der thailändischen oder burmesischen Sprache vorkommen. Diese Zeichen waren für mich auch «nur» unbedeutende, aber faszinierende Elemente, die die Inhalte dieser Sprachen darstellten. Für mich hatte das Material, der Gegenstand Tragegriff eine ganz eigene Sprache und so entwickelte ich ein Alphabet der Tragegriffe, wie auch sonst jede Sprache ein Alphabet hat. Burmesisch hat es mir besonders angetan mit ihren Kringelzeichen, so gestaltete ich dieses Alphabet mit Holz, das einzige wirklich bestehende Sprachalphabet. Von nun an folgten weitere Materialalphabete. Hat die WC-Ente als Flasche nicht eine ganz eigene Sprache? Das Alphabet dazu galt es zu erfinden …

Was waren die Leitgedanken jener «Schrift-Arbeiten»?

Ich versuche einem Material, einem Gegenstand einen Inhalt, ein Gesicht zu geben, indem ich die Sprache dieses Objekts zerlege, in Experimenten nach Darstellungsmöglichkeiten suche und andere Sehensweisen provoziere.

Was fasziniert Sie an der Kalligraphie oder an der Schriftkunst?

Die Formenvielfalt, Komposition, Lebendigkeit. Angefangen bei den Buchstaben der alten deutschen Schrift, die meine Mutter noch beherrschte, über die Buchstabenbilder der Griechen und Ägypter bis zu Zeichen fremder Kulturen mit ihren exotischen Sprachgebilden sind es im Besonderen die Formen, die Formenvielfalt, die mich faszinieren. Bei meinen Materialalphabeten kommt noch die dritte Dimension dazu, ein weiteres faszinierendes Element. Viele Schriftzeichen haben sich im Verlaufe der Zeit auch verändert, ich denke da auch an die Kommunikation in der heutigen Zeit: Jugendliche stellen in ihren SMS richtige Zeichenorgien dar, versetzt mit Smilies in allen Variationen, für mich eine eigene Sprache und auch dementsprechend interessant.

Sind Ihrerseits noch weitere «Schrift-Arbeiten» angedacht?

Auf meiner kürzlichen Kubareise mit Künstlerfreunden ist im Atelier eines Kubanischen Künstlers in Havanna «zigarrisch» entstanden, ein Alphabet mit der Zigarre des Mannes von der Strasse. Materialien, spezielle Gegenstände gibt es noch viele, so ist es auch möglich, dass noch einige Alphabete entstehen werden, auch auf weiteren Reisen werden mir Alphabete «begegnen» …

Gibt es bestimmte Schemen/Abläufe/Inspirationen, nach denen Sie Kunst schaffen?

Grundsätzlich ist da immer ein Material, mit dem ich experimentiere, das ich bearbeite, verändere, erweitere. Das Experiment steht im Vordergrund. Ich nehme an, dass diese Vorgehensweise einfach meiner Art zu arbeiten entspricht. Während meinem Studium an der Schule für Gestaltung in Zürich wurde auch oft so gearbeitet, das Fach Materialexperimente war für mich sehr zentral. Kürzlich wurden an der Schule, an der ich unterrichte, viele alte Schulwandkarten entsorgt (heute arbeitet man elektronisch …). Diese Karten sind für mich momentan Grundmaterial für Bilder und Objekte.


Wer oder was hat Sie in Ihrer künstlerischen Arbeit beeinflusst? Gibt es andere künstlerische Felder, die Sie in Ihrer Arbeit beeinflusst haben?

In jungen Jahren war ich sehr viel auf Reisen, fremde Kulturen und Länder interessierten mich; Kunst als solche bedeutete mir eigentlich wenig, obschon ich auch gerne einmal eine Ausstellung besuchte oder auch Gefallen fand an graphischen, modernen Elementen (Malerei, Skulptur: Vasarely, Arp, Bill usw.).
Zeitlebens bin ich begeisterter Jazzhörer. Hier fasziniert mich insbenondere die Improvisation und da sehe ich auch eine Brücke zum Experiment, etwas Befreiendes, etwas das einen weiterbringt. Sicherlich haben mich dann auch einige meiner Dozenten/Künstler während des Studiums geprägt und Tür und Tor zur Kunstwelt geöffnet. Bestimmt aber viel Inspiration habe ich durch die Arbeiten von Constantin Brancusi, einem der bedeutendsten Skulpteure und Plastiker der Modernen Kunst erfahren. Je länger je mehr stelle ich auch fest, dass das Reisen und die damit erreichten Erfahrungen und Erlebnisse mit Land, Leuten und Kulturen nachhaltig auf meine künstlerische Arbeit einwirken.

Tradition vs. Experiment – ein Widerspruch?

Meines Erachtens nicht, ich sehe es eher als Belebung, Befruchtung. Das Experiment sprengt Tradition und ergibt neue Inhalte. Im Austausch mit Freunden von mir, die aus der traditionellen Volksmusik kommen und heute mit vielfältigen Instrumentexperimenten und Kombinationen, sowie unter Einbezug «fremder» Musikelementen einen eigenen Stil entwickelt haben und damit auftreten, habe ich gelernt, dass aufbauend auf der Tradition das sinnvoll und effektiv eingesetzte Experiment auch bei meiner Arbeit zu Neuem, Interessantem führt und erstaunen kann.

Wie würden Sie Ihre Kunst oder den Schwerpunkte Ihrer Arbeit bezeichnen?

Ich bin nicht der Maler, meine Arbeit bewegt sich im Bereich der Objektkunst, der Plastik, Skulptur und Installation.